Erste Berührungspunkte mit der IT – oder EDV, wie man sie früher bezeichnet hat – hatte ich schon in meiner Kindheit. Anders als die Computernerds damals hatte ich während meiner Schulzeit aber gar keinen eigenen Computer: Dadurch, dass meine Eltern beide beruflich in diesem Bereich unterwegs waren, hatte ich die Möglichkeit, ihren Computer mitzubenutzen. Die Nutzung bestand damals allerdings hauptsächlich aus der Dateiablage von Briefen oder Ähnlichem. Das Internet gab es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.
Schlussendlich hat mich mein Spaß an der Mathematik und das damit verbundene logische Denkvermögen dazu gebracht, meinen beruflichen Weg Richtung IT einzuschlagen. Dass ich als Frau in diesem Bereich immer allein oder in der Minderzahl war, hat mich nie gestört und war auch von Anfang an schon so: Keine meiner Klassenkameradinnen mochte Mathe oder die Naturwissenschaften so sehr, dass sie sich eine Karriere in dieser Richtung vorstellen konnte.
Kurioserweise hatte ich trotz der gleichen Berufswahl früher kein großes Interesse an der Arbeit meiner Eltern. Ich bin auch nie durch sie in meiner Berufswahl beeinflusst worden. Und ich stelle jetzt fest, dass ich fast gar nichts über die damalige Arbeit meiner Eltern weiß. Wie hat meine Mutter in früheren Zeiten die IT als Frau erlebt? Ob es sie auch kaum gestört hat, als eine der wenigen Frauen in diesem Bereich zu arbeiten – oder war das Rollenbild doch noch ein anderes? Jetzt sitzen wir gemütlich zusammen und ich frage einfach mal nach:
„Sag mal: Du warst doch auch früher in der Softwareentwicklung tätig. Wie war das denn nochmal?“
Meine Mutter erzählt, dass sie – genau wie ich – in einer Firma als Anwendungs-Programmiererin angestellt war. „Aber das war alles lange vor Deiner Zeit: Nach meinem Schulabschluss im Jahr 1963 habe ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau bei dem Computerhersteller BULL absolviert. Während dieser Ausbildung habe ich Einblicke in die Datenverarbeitung bekommen und sogar an einem Grundlehrgang im Programmieren teilgenommen. Das hat mir so sehr gefallen und mein Interesse geweckt, dass ich mich nach Abschluss der kaufmännischen Lehre weiter zur Programmiererin ausbilden ließ. Das geschah dann mit Hilfe von Lehrgängen, die sehr spezifisch auf eine bestimmte Datenverarbeitungsanlage und in der anlagenspezifischen Programmiersprache, z. B. Assembler oder/und Cobol, ausgerichtet waren.“
Den direkten Ausbildungsberuf ‚Programmiererin‘ gab es damals noch gar nicht – und auch jetzt heißt die Berufsbezeichnung wieder ganz anders. Ich selbst habe die ‚Ausbildung zur Datenverarbeitungskauffrau‘ gemacht. Auch diesen Ausbildungsberuf gibt es schon lange nicht mehr. Jetzt nennt sie sich ‚Ausbildung zur Fachinformatikerin‘ und dabei muss man sich noch auf eine Fachrichtung festlegen – analog zu unseren Tätigkeiten ist das heute die Fachrichtung ‚Anwendungsentwicklung‘.
Meine Tätigkeit heute sieht so aus, dass ich am Schreibtisch vor dem Bildschirm sitze, Sourcecode am Computer schreibe und die Programme zur Ausführung bringe. „Wie sah denn damals Deine Tätigkeit aus?“, frage ich meine Mutter, denn Heim-Computer gab es ja damals zunächst noch nicht – da fragt man sich, wie so ein Alltag als Programmiererin aussah.
„Früher war das alles natürlich noch nicht digital“, sagt sie. Programmiert wurde damals nämlich auf Papier. Die einzelnen Befehle – in Assembler oder Cobol, bestehend nur aus Buchstaben und Zahlen – hat man mit Bleistift auf Programmierblätter runtergeschrieben.
War ein Programm fertig, wurden die beschriebenen Blätter Papier in die „Datenerfassung“ gebracht und dort von einer Locherin – später auch Datentypistin genannt – erfasst. Dabei wurde pro Befehl eine Lochkarte, die aus dünner Pappe bestand, gelocht. Die Locher kann man mit einer elektrischen Schreibmaschine vergleichen. Bestimmte Felder wie z.B. der Programmname und eine automatische Durchnummerierung wurden von einer „Stammkarte“ in jede Karte des Programms übernommen. Der Lärm, der mit diesen Maschinen entstand, aber auch der Stress für die Locherinnen (es ging nämlich auch um Geschwindigkeit) war enorm. Es bestand eine gesetzliche Vorschrift, dass sehr regelmäßige Erholungs-Pausen in diesen „Lochbüros“ eingehalten werden mussten.
Das finde ich heute kaum noch vorstellbar. Außer einem Kugelschreiber und vielleicht einem kleinen Schmierblatt habe ich gar nichts mehr auf dem Schreibtisch liegen. Aber eine Lochkarte habe ich auch schon einmal in der Hand gehabt – wahrscheinlich noch von meiner Mutter früher. „Um welche Mengen ging es denn da?“ frage ich nach. „Und sicher musste auch die richtige Reihenfolge der Karten eingehalten werden, oder wie war das?“
„Je größer ein Programm war, desto mehr Karten wurden gelocht“, erzählt meine Mutter. Die Karten wurden in großen Schränken mit vielen Schubladen aufbewahrt. In eine Schublade passten 2000-3000 Karten. Ein Programm mit 2000 Karten war schon recht groß. Und ich hatte recht, die richtige Reihenfolge war natürlich wichtig: „Die Lochkarten waren zwar nummeriert, trotzdem – und das ist mir sogar mit Sicherheit öfter mal passiert – ist es ärgerlich, wenn einem der Stapel Lochkarten aus der Hand rutscht und alles neu sortiert werden muss.“ Zum Glück gab es dafür auch Maschinen, nämlich Sortiermaschinen.
Jetzt komme ich aber nochmal zum Programmieren zurück, und frage nach: „Was passierte dann mit dem abgelochten Programm auf den Lochkarten?“
Meine Mutter erzählt, dass das Programm nun in den Maschinencode umgewandelt werden musste. Das war sehr zeitaufwändig, und man brauchte dafür „Testzeit“ im Rechenzentrum. Ein Rechenzentrum war eigentlich rund um die Uhr mit Tagesarbeiten ausgelastet. Für Programmtests gab es festgelegte Zeiten, die man sich mit den anderen Programmierer*innen teilen musste. In diesen Zeiten bediente ein Operateur die Anlage extra für die Programmierer*innen. Aber oft bekamen diese nur Zeiten außerhalb der regulären Arbeitszeiten, also abends, nachts oder in den frühen Morgenstunden. Erst bei der Umwandlung in den Maschinencode zeigte sich dann, ob sich Fehler bei der Codierung oder auch bei der Datenerfassung eingeschlichen hatten. Die Programmierer*innen mussten die ausgedruckte Liste nach solchen Fehlern durchsuchen, die Codier-Fehler korrigieren und die entsprechenden Karten neu lochen lassen. Dann wurde das Programm neu eingelesen und umgewandelt (natürlich immer nur zu den vorgegebenen Zeiten). Erst wenn die Codier-Fehler bereinigt waren, konnte man in die Testphase einsteigen. Um all diese Arbeiten zu beschleunigen, wurde häufig in der Nacht gearbeitet, denn dann war das Rechenzentrum meist frei von der Tagesarbeit. Wenn man das Vertrauen der Rechenzentrums-Mitarbeiter*innen und der Leitung hatte, durfte man dann sogar allein dort arbeiten.
Um Testdaten bereitstellen zu können, mussten große Magnetbänder und Schalttafeln gesteckt und geschleppt werden. Wir sprechen hier von um die 10kg: „Das war echte Knochenarbeit, und das habe ich oft ganz allein gemacht.“
Häufig verbrachten Programmierer*innen während der Testphase die halbe Nacht in einem Rechenzentrum. „Das empfand ich oftmals als sehr unheimlich und war immer froh, wenn wenigstens noch 1 oder 2 Kollegen mit ähnlichen Arbeiten beschäftigt waren,” erinnert sich meine Mutter.
Meine Arbeit heutzutage sieht im Vergleich ziemlich anders aus, da wir alles vom Computer aus steuern können. Bei uns können höchstens eventuelle Wartezeiten entstehen, wenn die anstehenden Aufgaben systemseitig nicht sofort ausgeführt, sondern in eine Queue gestellt werden. Das läuft dann aber alles automatisch ab und die Aufgaben werden selbständig erledigt, sobald sie an der Reihe sind.
Dann erzählt mir meine Mutter aber, dass manchmal auch früher etwas Zeit eingespart werden konnte: „Wenn der Programmierer Glück hatte, durfte er selbst seine Programme mit der Lochkarten-Maschine vom Papier abtippen. Oft machten die Datentypistinnen beim Abschreiben Fehler – sie konnten ja nicht selbst programmieren und wussten damit gar nicht, was sie tippten. Tippt es ein Programmierer selbst, weiß er, was er geschrieben hat, und macht weniger Fehler. ”
Das hat einem die Arbeit natürlich erleichtert. „Gab es denn sonst noch etwas, das deine Arbeit oder die Ausführung der Programme erschwert hat oder sich zur heutigen Arbeit unterscheidet?“
„Oh ja: Da fällt mir noch der Speicherplatz ein“, sagt meine Mutter direkt. Früher hatte man nicht nahezu unbegrenzten Speicher zur Verfügung. Er nahm ja auch vom Volumen her viel Platz ein und war teuer. Meine Mutter hat lange an einer Maschine gearbeitet, deren Hauptspeicher (= Kernspeicher) in seiner kleinsten Ausführung 1024 Bytes (1 KB) groß war, manchmal 2048 Bytes (2 KB). Eine sehr große Maschine hatte 4096 Bytes (4 KB). Hat man ein sehr großes Programm mit sehr vielen Befehlen geschrieben, so konnte das Programm ggf. nicht mehr gespeichert werden, weil der Speicherplatz zu klein war. In diesem Fall mussten die Programmierer*innen noch logischer denken und versuchen, verschiedene Befehlsabläufe in Schleifen bzw. Routinen zu packen, damit das Programm etwas schlanker wurde und weniger Speicherplatz benötigte.
Und im Vergleich dazu schalten wir uns heute beispielweise über eine Cloud einfach ein paar Terrabytes Speicher dazu, um unsere Videos, Musik und Fotos zu sichern.
Ich interessiere mich aber auch noch für einen anderen Aspekt ihrer Arbeit: „Wie war das denn damals für Dich als Frau im Beruf der Programmiererin?“, frage ich meine Mutter als nächstes. Auch wenn Frauen heute immer noch eine Minderheit unter den Entwickler*innen sind, so haben sie doch denselben Stellenwert wie die männlichen Zeitgenossen und werden auch mit ihrer Arbeit akzeptiert.
„Das war bei mir noch ganz anders“, erzählt sie. „Früher arbeiteten eigentlich keine Frauen als Programmiererinnen. Das war eine reine Männer-Domäne – nicht zuletzt auch wegen der schon erwähnten körperlichen Arbeit.“
Übte eine Frau dennoch diesen Beruf aus, musste ihre Arbeit zu 100%ig, besser 150%ig gut sein. Sobald sie Fehler machte, war die Akzeptanz verloren und nur schwer wiederzuerlangen. Eine Frau musste sich behaupten. Ähnlich wie auch heute wurden die Programmierer*innen an andere Firmen verliehen. Die dort ansässigen Programmierer – in der Regel alles Männer – wussten nur, dass sie durch eine weitere Person unterstützt werden – was sie sowieso schon nicht so gut fanden. „Aber sobald sie feststellten, dass dieser ‚Fremde’ auch noch eine Frau ist, waren sie noch skeptischer – die Akzeptanz musste man sich schwer erarbeiten.”
Das habe ich mir fast gedacht. Dass es damals für Frauen in der Branche kaum Akzeptanz gab, ist wenig überraschend und trotzdem erschreckend zu hören.
Heute können Programmierer*innen problemlos ihre Aufgaben im Homeoffice erledigen – sogar nahezu 100% der Arbeitszeit. „Das war damals sicher anders, oder?“, frage ich meine Mutter.
Und jetzt überrascht sie mich: „Da irrst Du Dich aber: Bereits 1973 begann ich, auch zu Hause zu programmieren. Da ich ja sowieso für ‚Fremdfirmen’ arbeitete, war es ja egal, an welcher Stelle ich das Programm zu Papier brachte – im Büro meines Arbeitgebers oder zu Hause, das war problemlos machbar. Die Arbeit im Rechenzentrum war dann aber natürlich nur vor Ort möglich.“ Was wir also heute so neumodisch mit dem Homeoffice aus dem Boden stampfen, gab es auch schon vor 50 Jahren.
Ab 1978, also vor etwa 45 Jahren, stand der erste Bildschirm bei uns zu Hause im „Homeoffice“. Das war damals ein starres Terminal (ohne Festplatte und dergleichen), d.h. es gab nur einen Bildschirm, der fest 24 Zeilen mit je 80 Zeichen pro Zeile anzeigen konnte. Eine Verbindung zum Hauptrechner in der Firma wurde damals mit einer Datex-Leitung hergestellt: Das kann man sich ähnlich einer Telefonleitung vorstellen. Erste Nachrichten unter Kolleg*innen konnten ausgetauscht werden. Kommuniziert hat man aber ansonsten nicht: Telefonieren war damals viel zu teuer. Das heißt die Programmierer*innen waren zu Hause ganz auf sich allein gestellt. Man musste sich auch mit dem Netzwerk gut auskennen, denn lief mal etwas mit der Verbindung schief, musste man (oder Frau) selbst Hand anlegen.
Zu diesem Zeitpunkt wurden auch erste Programme in Dateiform geschrieben und auf Disketten gespeichert. Das Papier blieb aber trotzdem noch lange Zeit ein bewährtes Medium. Ich kann mich selbst noch gut an Disketten als gängiges Speichermedium erinnern. Zu Anfang waren es große Disketten (5 1/4 Zoll), diese wurden später durch 3 1/2-Zoll-Disketten abgelöst.
Meine Mutter hat mir in unserem netten Interview wirklich tolle Eindrücke in das EDV-Leben von früher gegeben. Ich habe von ihr vieles erfahren, was ich noch gar nicht wusste – auch einiges Überraschendes war dabei.
Erinnern kann ich mich noch gut an das Terminal, das zu Hause stand. Es durfte damals niemand dran gehen, womöglich daran spielen. Das war ein echtes Heiligtum.
Genauso erinnere ich mich an die stetige Weiterentwicklung der Technik. Schon bald stand ein richtiger Computer mit Festplatte bei meinen Eltern. Dann folgte das erste „Online-Gehen“ in das große unbekannte Internet mit Hilfe eines Modems über die Telefonleitung. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber schon in meiner IT-Ausbildung.
Bestätigt hat mir das Gespräch mit meiner Mutter, dass Frauen es früher – besonders in der IT – richtig schwer hatten, sich zu behaupten. Heute ist eine Frau in diesem Bereich (zum Glück) ihren Kollegen gleichgestellt. Trotzdem ist die Frauenquote in der IT weiterhin sehr gering. Ob die Vergangenheit hier immer noch eine Rolle spielt und in den Köpfen der Gesellschaft steckt? Es wird höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Es müssen viel mehr Möglichkeiten geboten werden, damit junge Mädchen, auch in diesen Bereich reinschnuppern können. Wir machen einen ersten Schritt mit dem Girls‘ Day am 25.04.