Am 9. Oktober gab es im Rahmen unseres Event-Formats Innovation Impuls wieder neue Einblicke und Inspiration aus der Tech-Welt: In der 16. Ausgabe des Formats nahm uns Oliver Kulas, System Engineer und Accessibility-Experte der DB Fernverkehr AG, auf eine Reise in die Welt der digitalen Barrierefreiheit mit. In entspanntem Setting in unserer Lounge lauschten knapp 30 Teilnehmer*innen angeregt Olivers Ausführungen und diskutierten auch im Anschluss an den Vortrag ausführlich weiter.
Direkt zu Beginn wird das Barrierefreiheits-Wissen der Teilnehmer*innen auf die Probe gestellt. Auf spielerische Weise soll das eigene Fachwissen zum Thema Barrierefreiheit eingeschätzt sowie einige Abkürzungen eingeordnet werden. Wissen denn wirklich schon alle, wofür die Abkürzung WCAG steht? Es zeigte sich ein ganz durchmischtes Bild: Während einige Personen bereits Barrierefreiheits-Profis sind, gibt es auch andere Personen, die sich erstmalig mit dem Thema beschäftigen. Diese Barrieren sollen im Verlauf des Vortrags abgebaut werden.
Olivers Botschaft: Von Barrierefreiheit profitieren alle, ganz unabhängig von spezifischen individuellen Einschränkungen. Die digitale Welt soll für alle Nutzer*innen zugänglich sein, egal ob Sehbehinderung, Höreinschränkung oder kognitive Einschränkung.
Dabei ist mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das ab Juni 2025 in Kraft tritt, nun auch eine rechtliche Grundlage vorhanden. Bei Nichteinhaltung drohen Bußgelder von bis zu 100.000 Euro. Für die DB steht allerdings nicht die Gesetzeslage im Vordergrund, betont Oliver, sondern die eigene Überzeugung bzw. der eigene Anspruch, allen Kund*innen gerecht zu werden.
Im Falle der DB ist Accessiblity vor allem aufgrund der Struktur ihrer Onlinepräsenz eine echte Herausforderung: Das Frontend von bahn.de – bestehend aus über 1.300 Vue-Komponenten und mehr als 625.000 Zeilen Typescript-Code – wird tagtäglich von Millionen von Nutzer*innen aufgerufen. Mehr als 500 Schwesterseiten mit Spezialdesign und -funktion sowie die Trennung von redaktionellen Inhalten und Buchungsstrecken bergen weitere Herausforderungen. Auch diverse Unterseiten und Special Cases, von denen Oliver in humorvollem Tonfall berichtet, bringen zusätzliche Probleme für das Accessibility-Team, die es clever zu lösen gilt. Der zentrale Anspruch: Ein gleichwertiges Nutzungserlebnis für alle Nutzer*innen, unabhängig von diversen Einschränkungen.
An dieser Stelle wird auch noch einmal für alle aufgelöst, was sich hinter der Abkürzung WCAG verbirgt: Die Web Content Accessibility Guidelines bilden den internationalen Standard für barrierefreie Webinhalte. Sie fungieren als eine Art Kompass für Entwickler*innen und helfen dabei, digitale Produkte für alle zugänglich zu gestalten. Dabei werden auftretende Issues in die Kategorien A, AA und AAA unterteilt, die unterschiedliche Priorität haben. AA ist hier für viele Unternehmen das Ziel, AAA stellt eher die Königsdisziplin mit der niedrigsten Priorität dar.
Sinnvollerweise wird das Testing bereits direkt in die Entwicklungsprozesse miteingebunden. Und wie das konkret bei der DB aussieht, zeigt uns Oliver zuerst theoretisch anhand von Modellen in seinen Vortragsfolien, später dann auch noch live und praktisch angewendet in einer Demo.
Angefangen bei den manuellen Tests, die das Nutzererlebnis auf Herz und Nieren prüfen: Dafür gibt es bei der Deutschen Bahn Teams aus betroffenen Personen – zum Beispiel Entwickler*innen mit Sehbehinderungen – die gemeinsam mit anderen Entwickler*innen den Code reviewen. Zusätzlich kommen BITV Selbsttests zum Einsatz, bei denen durch manuelle Selbstevaluation die Barrierefreiheit überprüft wird.
Im Bereich des automatisierten Testings setzt die DB die beiden Tools Axe und Playwright als Standard Tools zur Testautomatisierung ein. Wie dies genau funktioniert, erklärt Oliver in der anschließenden Live-Demo.
Vor Ort demonstriert Oliver, wie sich die WCAG Guidelines im Code einbauen lassen, um dann die ausgegebenen Test Results aus einem Report zu interpretieren. Das verwendete Tool Axe gibt hier zu jedem gefundenen critical issue einen Direktlink aus. Hier wird klar: Barrierefreiheit ist ein fortlaufender Prozess, der sich durch Tools wie Axe und Playwright stark beschleunigen lässt. Trotzdem bedarf es auch des menschlichen Blicks auf die identifizierten Issues und einer kreativen Problemlösung.
Sind die Accessibility Issues dann gefunden, gibt es verschiedene Strategien zur Behebung der Findings. Die Deutsche Bahn erstellt hierfür eine Liste von Use Cases, die entsprechend priorisiert werden.
Ziel ist es, Barrierefreiheit bereits in den Arbeitsalltag der Entwickler*innen zu integrieren und von vorneherein mitzudenken. Denn wenn Barrierefreiheit bereits ab der ersten Zeile Code mitgedacht wird und Standards von vorneherein eingehalten werden, vereinfacht sich der Prozess auf allen Ebenen.
Auch das Feedback der Nutzer*innen spielt eine wichtige Rolle: In der Praxis zeigen sich manchmal Probleme, die vorher nicht abgeschätzt werden können. So zum Beispiel die Überschriftenlogik auf manchen Unterseiten, die im Vorlesemodus eine andere Reihenfolge erhalten und so die Nutzung der Seite für blinde Menschen komplizieren. Auch das Look and Feel einer Seite lässt sich von einer betroffenen Person viel besser bewerten. Reine Barrierefreiheit reicht nicht, sondern auch eine intuitive und ansprechende Gestaltung sind das Ziel.
Wir sorgen dafür, dass ALLE User Ihre Anwendung ohne Hürden nutzen können - aus Überzeugung, denn das ist der Kern von gutem UX Design. Außerdem stellen wir so sicher, dass Sie die Regelungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) erfüllen.
Olivers Schlusssatz: Barrierefreie Angebote sind insgesamt auch ein Gewinn für alle! Aus der Testing-Perspektive sind für ihn vor allem code-basierte Tests der richtige Weg. Er ruft außerdem ausdrücklich dazu auf, Barrierefreiheit von Anfang an mitzudenken
Denn dass von einer inklusiveren digitalen Welt alle profitieren, hat er eingängig in seinem Vortrag gezeigt.
Wie sehr das Thema auch bei den anwesenden Personen gewirkt hat, zeigen die zahlreichen interessierten Nachfragen: Von spezifischen Nachfragen bezüglich der Testings über Fragen zum rechtlichen Rahmen des BFSG bis hin zur Bitte um Empfehlungen für Testing-Tools – im Nachgang zum Vortrag wird in geselliger Runde noch angeregt diskutiert. Danke für den spannenden Impuls, aus dem auch ich als fachfremde Person viel mitnehmen konnte!