Zuerst einmal die Fakten: Ich sitze nun seit dem 16. März 2020 im Home Office. Dies sind netto an die 200 bis 210 Arbeitstage, an denen ich nicht ins Büro nach Köln pendelte. Ich sparte dabei ganze 13 Tage an Fahrzeit, 15.000 Kilometer Strecke und reduzierte den CO2 Ausstoß um ca. 2.100 kg. Nicht zu vergessen, dass ich nun an jedem Arbeitstag mindestens 45 Minuten länger schlafen kann. 150 Stunden bzw. 6,5 Tage mehr Schlaf! Bis heute kam ich ein einziges Mal ins Büro, um einen neuen Kollegen in meinem Team persönlich zu begrüßen.
Als der Aufruf der Geschäftsführung kam, dass wir als Gesamtunternehmen bitte ab sofort ins Home Office ziehen sollten, war wohl keinem bewusst, dass dies so lange andauern würde. Von heute auf Morgen bis auf sehr wenige Ausnahmen keine Präsenzarbeit mehr. Vorbei die früheren Bedenken, die man hatte, wenn man doch mal einen oder gar zwei Tage Home Office einstreuen wollte oder besser „musste“. Die „Home Office Scham“, da nehme ich mich nicht aus, die gab es. Die Vorurteile den Arbeitenden Zuhause gegenüber konnten nun auf den Prüfstand: Demnach könnte es ja nun sein, dass nun alles in sich zusammenbricht. Tat es aber nicht.
Ich zähle zu den privilegierten Arbeitnehmern, die vor langer Zeit unbewusst die beste Entscheidung trafen, als sie sich damals dafür entschieden, beruflich „irgendwas mit dem Internet“ zu machen. Hinzu kommt, dass IT Unternehmen, die wie die Cologne Intelligence aufgestellt sind, natürlich per se kein Problem damit hatten, von heute auf morgen zu nahezu 100% ins Home Office zu ziehen. Das Ruckeln dauert keine Woche und alles lief, als wäre es das Normalste der Welt. Schnell wurden ein paar Prozesse im Team umgestellt, wurden ein paar Tools dazu genommen und die tägliche Arbeit funktionierte quasi ohne jeglichen Qualitäts- und Quantitätsverlust. Auch nach Innen konnten wir also extrem agil sein. Eine Freiheit, die nicht alle Unternehmen, Behörden oder auch staatliche Schulen hatten und leider auch weiterhin nicht haben. Traurig, aber wahr.
Die Arbeit groovte sich also recht geräuschlos ein. Fehlende Hardware (Headset, höhenverstellbarer Schreibtisch, weitere Monitore, WLAN/LAN Erweiterungen, Drucker – der Erste nach 10 Jahren) wurde im Laufe der Zeit angeschafft. Doch damit war ein weiterer, wichtigerer Teil, noch nicht geklärt: Welche Auswirkungen würde das neue Arbeiten auf das private Umfeld haben? Mit mir saßen zu Hause nun ja Dank des – Achtung, Sarkasmus! – Digitalpaktes und dem „flächendeckenden Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur“ zwei Home-Schooler, die es zusätzlich zu betreuen galt. Meine Frau, die bis heute auch endlich eine echte Home Officerin geworden ist, konnte in den ersten sechs Monaten nicht so einfach das Büro in unser Haus verlegen.
Auch hier lässt sich sagen, dass, auch dank meines Arbeitgebers, Schlimmeres verhindert werden konnte. In allen Lockdowns gab uns die Geschäftsführung freie Hand bei der Gestaltung des täglichen Miteinanders, des Erledigens der Arbeiten und auch beim Durchleben des privaten „Durcheinanders“. Getreu dem Motto: Der durch das Home-Schooling und der Gesamtsituation der Corona-Pandemie entstandenen Ausnahmesituationen muss man flexibel begegnen. Führen heißt eben nicht schieben, sondern vor allem den Mitarbeitenden absolutes und uneingeschränktes Vertrauen schenken. Verrückt: Es funktioniert!
Einer der großen Vorzüge unserer Unternehmung war und ist das durch Feedback, Vertrauen und Kommunikation geprägte Miteinander. Kernpunkte waren hierbei sicherlich die täglich stattfindenden, projektübergeifenden, persönlichen Kontakte, Kaffee-Gespräche, Mittagessen und zahlreiche Events der Teams, Interessengruppen und der ganzen Firma. Dies alles musste nun gesichert und in digitale – soweit denn möglich – Formate überführt werden. Hierbei galt als eine der obersten Prämissen: Einfach mal ausprobieren! Nicht alles war von Erfolg gekrönt, kam gut an oder fand ausreichende Mitstreiter, die ein Fortführen der ein oder anderen Idee rechtfertigte. Aber es war und ist schön zu sehen, wie unsere Kultur den von uns so geschätzten agilen Ansatz des Ausprobierens, Feedback-Einholens und Anpassens mit Leben füllte.
Dennoch: Es bleiben spürbare Defizite. Neue KollegInnen, die innerhalb des letzten Jahres dazukamen, können nur ansatzweise erahnen, was für eine tolle Kultur bei uns eigentlich gelebt wird. Spiele-Abende, Open Fridays, Escape-Room-Abende, die megatolle Video-Weihnachtsfeier mit Impro-Theaterspielern, Björn Heuser und diversen Tastings oder die monatlichen Geburtstagsrunden mit verschiedenen Mottos: All das wäre live und in Farbe natürlich noch viel besser gewesen. Nichts ersetzt unser Sommerfest für Familien und Kunden. Der soziale Freiwilligentag? Ja, den gab es auch, aber leider ohne die tollen Momente und Gespräche mit den engagierten Helfern diverser sozialer Einrichtungen, denen wir einmal im Jahr so gerne und motiviert vor Ort zur Hand gehen.
Ja, die persönlichen Treffen und Kontakte ... Das einfache „Wie geht’s Dir“ auf dem Flur fehlt. Kein Video-Kaffee-Meeting befriedigt das menschliche Bedürfnis nach sozialen Kontakten und kommunikativem, auch mal sinnfreien Austausch. Und: Es gibt nach wie vor KollegInnen, die habe ich seit dem 1. Lockdown tatsächlich gar nicht mehr gesehen. Denn diese weigern sich vehement, ihre Kameras anzuschalten. Dieses Verhalten ist auch bei Kunden zu beobachten: In einer Skype Session, an der ich als Externer teilnahm, schaltete ich reflexartig schon direkt die Kamera an. Erst danach trauten sich die anderen, mir dies gleich zu tun, denn sonst würden sie „immer ohne Kamera“ sprechen ...
Jeder da draußen, der wie ich nun seit einem ganzen Jahr von Zuhause aus arbeitet, wird das für sich anders sehen – und das aus jeweils individuellen, guten Gründen. Ich für meinen Teil kann sagen: Ich fühle mich hier sehr wohl. Das aufgezwungene Experiment ist vollkommen gelungen. Natürlich kommen mir die räumlichen Gegebenheiten hier zugute, meine Kinder sind nicht zu klein und meine Branche ist quasi für solches Arbeiten gemacht. Ich komme im Ein-Mann-Office mit mir hier gut zurecht, arbeite auch mal zu ungewöhnlichen Zeiten, nutze diese Flexibilität voll aus. Ich bin sehr privilegiert, das wurde sehr schnell klar. Ich glaube, ganz allgemein werden all diese Umstellungen die Arbeitsweisen und Arbeitsumfelder in den kommenden Jahren merklich prägen. Denn ich für mich kann mir nicht vorstellen, irgendwann, wenn alles auf „Los“ springt, wieder fünf Tage die Woche im Büro zu sitzen. Gerade in meiner Branche wird das Home Office fester Bestandteil der Arbeitsverträge werden. Wer da als Unternehmen weiter an der Präsenz in Großraumbüros festhält – und davon gibt es einige – wird es am umkämpften Arbeitsmarkt sehr schwer haben, Fachleute zu finden.
Die Argumente liegen auf der Hand: In gewissen Konstellationen funktioniert „Arbeiten auf Distanz“ ohne jeglichen Reibungsverlust bei höherer Zufriedenheit des Arbeitsnehmers – und zwar nicht nur für ein paar Wochen. Arbeitgeber, die das nicht für die Zukunft wahrhaben wollen, werden viele Arbeitende nicht mehr erreichen. Das Vertrauen rückt in den Vordergrund. Vorbei die Zeiten des Misstrauens, Kontrollierens und „Misstrauisch-auf-die-Uhr-schauens“, wenn der Kollege schon um 15 Uhr geht.
Mir ist bewusst, dass der Text nur mein Empfinden der Situation widerspiegelt und es sicherlich viele Menschen da draußen gibt, die mit dieser Situation schlecht oder nach wie vor gar nicht klarkommen. Die entweder nicht die Möglichkeiten haben, wie ich sie erleben darf, oder die schlichtweg das Büro und das Drumherum benötigen, um Spaß an der Arbeit zu haben. Dies empfindet jeder auf seine Weise anders und liegt in der Natur eines jeden Einzelnen.
Doch eines lehrt mich diese Situation erneut: Wer eine gesunde agile Haltung mitbringt, sich in einem unsicheren, sich verändernden Umfeld anpassungsfähig und schnell umorientieren kann, der wird sich auch solchen – eben nicht markt- oder produktspezifischen – Situationen besser stellen. Daher gilt ab sofort: Agile Haltung annehmen! (A-H-A)