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Bambini-Trauben und die intuitive Anwendung von Agilität

Anhand einer Jugend-Fußballmannschaft erklärt Autor Sascha, seines Zeichens U11-Jugendtrainer, die intuitive Anwendung agiler Konzepte und Methoden in der realen (Fußball-) Welt.

In der neuen, agilen Welt geht es oft um Teams und deren Autonomie innerhalb eines Unternehmens. Angefangen bei crossfunktionalen Teams, Steuerung von agilen Teams, Teambuildingmaßnahmen bis hin zu agiler Teamarbeit - in der heutigen Zeit drehen sich die Gespräche um viele solcher Themen und Praxisbeispiele.

Dazu gesellen sich dann diverse mehr oder weniger nützliche Methoden und Modelle, die den Nutzen der agilen Arbeitsweise verdeutlichen sollen. Oder einfach nur beispielhafte Projektsituationen verschiedener Problem-Schwierigkeitsgrade, in deren Lösungsfindung der Einsatz agiler Denkweisen als durchaus vorteilshaft empfunden wird.

Beide Themenfelder (Teamorganisation und agiles Projektvorgehen) sind mir jüngst wieder im privaten Alltag begegnet und zeigen auf einfach Weise, wie unser Alltag – und das seit Jahrzehnten –auf agile Weise mit solchen Situationen umgeht.

In meiner Funktion als Jugendtrainer einer mittlerweile sehr talentierten U11 Fußballmannschaft hatte ich bezüglich Teamaufbau und Vorgehen seit Anbeginn des Trainings vor fast 5 Jahren ausreichend Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Diese lassen sich in der Tat recht einfach – und auf einer abstrakten Metaebene - auf derzeit gängige agile Konzepte und Modelle anwenden und beispielhaft daran erläutern.

Für meine Ausführungen beziehe ich mich zum einen auf das CYNEFIN-Modell von Dave Snowden, welches dabei helfen kann, Einsatzgebiete agiler Methoden zu identifizieren. Zum anderen auf das durch Spotify bekannt gewordene Modell zur Klassifizierung von Teamautonomie.

Was zeichnet also den klassischen Bambini-Fußball (Alter: ca. 4-6 Jahre) aus? Richtig! Die „Bambini-Traube“. Diese Traube beschreibt den Ablauf eines Fußballspiels dieser Altersgruppe ganz treffend: Ein Ball in der Mitte, alle Spieler – ob Gegner oder Mitspieler – kleben wie einzelne Trauben am Ball und bewegen sich als solche über das Feld. Einige andere, die nicht mehr an der Traube kleben (wollen), verlieren sich zu zweit oder alleine irgendwo auf dem Platz und sind durch alles Mögliche abgelenkt: Kleintiere, Insekten, Eltern, das Spiel auf dem Nebenplatz, vorbeifahrende Autos, Busse, und, und, und, …

Bild Tabelle Grafik Bambini
Bild 1: Das Spotify Alignment-Autonomy Model in abgewandelter Fußballtrainer-Form. (Bild: SEG, Galopper Design)

Den Kindern Orientierung und Autonomie geben

In Bezug auf Orientierung und Autonomie wäre hier gemäß dem „Alignment-Autonomy-Model“ die geringste Ausprägung (unten links) anzunehmen. Jeder ist mit sich allein, zu zweit oder in Gruppen beschäftigt und „brödelt“ vor sich hin.

In der Stufe rechts unten (hohe Autonomie und geringe Orientierung) kommt auch unser Jugendtrainer ins Spiel. Dieser hofft nun, dass die Kinder das Vermittelte umsetzen und langsam mal das Fußballspielen (hier vor allem das Abspielen des Balles und die Nutzung des gesamten Spielfeldes) verstanden haben: „Den Ball ins gegnerische Tor bringen. Die werden schon wissen, was zu tun ist.“

Die nach diesem Modell „besseren“ Ausprägungen oben zeigen sich im Leben eines Jugendtrainers dann auch – endlich – ab einem gewissen Trainingsstand. Traurigerweise passiert dies meist nicht wegen des Trainertalentes, sondern kommt in der Regel ganz von allein auf Basis der gesammelten Erfahrungen. Dazu dann in meinem unten folgenden Beispiel zum Reifegrad eines Teams mehr.

Oben links also hat der Trainer es endlich geschafft, sein Team verbal zu erreichen. Die Vorgaben des Trainers werden angehört und es wird versucht, diese in Teilen auch umzusetzen: „Geht raus, lasst den Gegner und Ball laufen und spielt sie an die Wand!“

Dies kann, muss aber nicht helfen. Die Lösung ist hier vorgegeben und etwaige Unterschiede der Gegner werden nicht berücksichtigt. Wenn dieser z.B. ein älterer Jahrgang ist und technisch wie läuferisch klar überlegen, dann geht diese Taktik eher nach hinten los. In Fällen wie diesen gibt es dann oft ungläubige Blicke der Spieler, die hilfesuchend den Trainer anschauen und sich wundern, warum die Vorgaben des Trainers nicht funktionieren.

Dies ändert sich dann in der anzustrebenden Stufe oben rechts: Alle sind gleich fokussiert und können ihre Spielweisen und Stärken selbstständig je nach Gegner, Ball, Platzbegebenheit und Wetter anpassen: „Ihr habt alle benötigten technischen wie taktischen Fähigkeiten gut trainiert und seid gut vorbereitet. Geht raus und seht, wie ihr diese einsetzen könnt, um den Gegner zu ärgern!“

Natürlich benötigt es hier, wie auch im realen (agilen) Arbeitsleben, auch weiterhin der Unterstützung und des Coachings. Diese Hilfestellung gibt der Trainer dann durch sein vorhandenes Wissen und seine Erfahrung, die er in seiner Rolle ins Team einbringt: „Die spielen jeden Angriff über den 10er. Wenn ihr den in den Griff bekommt, gewinnt ihr das Spiel.“

Interessanterweise durchläuft man diese Stadien in dieser Reihenfolge fast ganz automatisch und in den Fußballtraining-Jugendbüchern steht sowas nicht drin. Es sind also hier intuitiv gelebte Prozesse und Vorgehensweisen, die man im Laufe der Zeit anpasst und probiert.

Agiles Fazit 1:

Eben dieses Ausprobieren, Erkennen, Anpassen, Ausprobieren, Erkennen, Anpassen etc. ist einer der vielen agilen Ansätze, die wir leider im Büroalltag durch z.B. unnötige Vorgaben und Regeln abtrainiert bekamen und uns nun – dieses Mal von oberster Stelle erlaubt! – wieder mühselig antrainieren müssen.

Diagramm Cynefin

Reife des Teams: Wie komplex ist das Spiel?

Auch das CYNEFIN Modell wird man in den Jugend-Trainingsbüchern vergebens suchen, wird es denn auch hier ganz von allein und alltagsintelligent – unbewusst – eingesetzt, um den Reifegrad eines Fußballteams einzuschätzen.

Im CYNEFIN Modell gibt es fünf Stufen der Systemwahrnehmung. Für jede Stufe leitet sich dann eine Handlungsempfehlung ab. In meinem Beispiel beziehe ich mich nur auf vier Stufen des Modells: Chaotisch, Kompliziert, Komplex und Einfach.  Es geht darum, zu zeigen, wie komplex sich das Fußballspielen für die Kinder darstellt und wie man darauf als Trainer reagieren kann.
Zu Beginn also scheint es – und das ist es auch – von außen betrachtet so, als würde sich die Mannschaft und damit auch das gemeinsame Spiel als chaotisch darstellen. Diesem Zustand muss man sich als Bambini Trainer eine lange Zeit stellen, ehe es erste Verbesserungen zu erkennen gibt. Auch massives Training bringt hier nicht wirklich Fortschritte. Aber das ist auch an sich in diesem Stadium egal: Die Kinder sollen Spaß an der Bewegung (mit Ball) haben. Es ist unerheblich, wie man das als Trainer hinbekommt („Novel practice“).

In der nächsten Stufe – das Spiel ist für das Team weiterhin extrem komplex – erkennen die Spieler langsam, aber sicher, Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung. Die Praxis im realen Spielbetrieb und im Wettbewerb gegen andere – am besten leicht bessere – Teams führt, nach Meinung des Autors, in diesem Stadium zu den besten Fortschritten und Erkenntnissen, den Spielablauf betreffend. Hier kann viel probiert und seine Spielweise daran angepasst werden („Emergent practice“).

Auch wenn das Spiel mit all seinen Facetten in der nächsten Stufe immer noch kompliziert erscheint, so entwickelt sich im Team jetzt langsam eine eigene Spielweise. Jedes Spiel ist eben anders und daher komplizierter oder weniger komplizierter. Die ersten Erfahrungen („Good practices“) zeigen Wirkung und man vermeidet einfache Fehler, besinnt sich seiner Stärken und merkt sich gute Spielzüge und Kniffe, um den Ball gezielter Richtung gegnerischem Tor zu bringen.

Die „Best practice“ wird bei eher einfachen Aufgaben (Gegnern) angewendet. Einmal gegen z.B. jüngere Teams eingesetzte Spielvarianten (viele Fernschüsse, lange Bälle, körperliches Spiel) können, sicher vorgetragen, bei Bedarf wiederholt werden und führen sehr wahrscheinlich zum Ziel.

Wie man sieht, so können alltägliche Dinge sehr viel mit agiler Arbeitswelt und agiler Theorie zu tun haben. Man muss nur die Augen offenhalten. Denn agiles Vorgehen haben wir nicht erst in den letzten 20 Jahren erfunden, es ist quasi schon serienmäßig in uns drin.

Agiles Fazit 2:

Was hindert uns also daran, diese naturgegebenen Fähigkeiten auch im Arbeitsalltag intuitiv und auch bewusst anzuwenden?

Danke an die KollegInnen von CI People Interactions für die Inspiration für diesen Artikel. Und natürlich auch Danke an „meine" U11 des SV Rheinbreitbach, ihr seid spitze!