arrow arrow--cut calendar callback check chevron chevron--large cross cross--large download filter kununu linkedin magnifier mail marker menu minus Flieger phone play plus quote share

Agilität und unser Bildungssystem

Wie unser System uns bereits in jungen Jahren von der Agilität weglenkt, obwohl wir diese im Kindesalter bereits in uns haben.

Der Wandel der Schule im 19. Jahrhundert

Ein Teilausschnitt der Entwicklung des Bildungssystems

Im 19. Jahrhundert wird das Schulsystem zur Volksschule, eine eigene Schulverwaltung wird allmählich aufgebaut. Der Staat übernimmt die Aufsicht der Schulen, kontrolliert die Anstellung der Lehrer sowie eine zunehmende Verstaatlichung der Ausbildung der Lehrer.

Auf diese Weise konnte der Staat eine Vereinheitlichung der zu lehrenden Inhalte und des Bildungsniveaus sicherstellen. Damals ein gewaltiger Schritt, aber ist das heute noch zeitgemäß? Darauf möchte ich nachfolgend eingehen.

Foto von Florian Veith
Florian Veith

Ehemaliger Mitarbeiter

Was hat das nun genau mit uns zu tun?

Unsere Kindheit und wie wir Dinge gelernt haben

Lasst uns gemeinsam mal zurück in unsere Kindheit reisen. Wer kennt es nicht von sich selbst, oder aber den eigenen Kindern, Nichten, Neffen, Enkeln usw. Da ist dieser Bauklotz, der ist eckig, die Form der kleinen Holzkiste jedoch rund. Trotzdem versucht das Kind eben jenen eckigen Bauklotz durch die runde Öffnung zu zwängen, wenn es sein muss kommt sogar der Hammer zum Einsatz. Was ist in diesem Moment geschehen? Völlig frei von vorgefertigten Erwartungen fängt das Kind an auf herrlich naive Art und Weise sich durch Neugierde explorativ voranzutasten. Mit dem Ziel zu testen, ob dieser Baustein da nicht durchpassen könnte. Es handelt sogar ganz intuitiv so, dass es inspiziert und sein Verhaltensmuster anpasst. Zunächst wird versucht den Bauklotz mit der reinen Muskelkraft der Hände in diese Öffnung zu zwängen, anschließend kommt bereits ein Werkzeug zum Einsatz. Das Kind hat sein Verhalten der Situation angemessen völlig automatisch angepasst. Das sind Verhaltensweisen, die sich viele von uns heute wieder mühsam antrainieren müssen. Dabei ist es unerheblich, ob der eckige Bauklotz in unserem Beispiel in die runde Öffnung passt oder nicht, es geht vielmehr um eine Haltung, die Neugier Etwas zu wagen, das zunächst nicht erfolgversprechend ist, sich dann iterativ nach vorne zu bewegen, eine Situation zu beobachten und kleine, nächste Handlungsschritte zu verproben. Vor allem aber von vorgefertigten Denkmustern, oder Erwartungen aus dem Umfeld zu lösen. „Das geht nie!", „Das klappt doch eh nicht!", Aussagen, die wir sicher gut kennen und auch schon gehört haben. Ließen wir uns davon leiten, dann hätten wir heute vermutlich nur schnellere Pferde und keine Autos.

Ein weiteres Beispiel ist das Fahrradfahren zu erlernen. Blaue Flecken, angekratzte Schienbeine, so habe ich meine ersten Versuche in Erinnerung. Ja, ich stamme noch aus der Generation ohne Laufrad. Aber es hat mich nicht davon abgehalten weiterzumachen, immer und immer wieder ging es auf den Sattel und Stück für Stück habe ich gelernt wie ich mein Gleichgewicht halten kann, wie ich Arme und Beine in Einklang bekomme, wann ich die Pedale trete und wann nicht - Empfehlung: Nie scharf in die Kurve legen und gleichzeitig in die Pedale treten!

Gemäß dem Ausspruch von Thomas Alva Edison - „I have not failed. I've just found 10,000 ways that won't work." haben wir uns mit voller Hingabe den Dingen gewidmet, die wir ergründen, erlernen, oder uns aneignen wollten.

Kindergarten, Schule und weiterführende Bildung sowie deren Einfluss

Für nachfolgende Aussagen nehme ich explizit staatlich genehmigte Ersatzschulen wie Montessori und Waldorf, oder private Bildungsinstitute aus. Ebenso Kindergartenformen, die sich von den „klassischen" Inhalten der staatlichen Form unterscheiden. Da ich weder Mediziner, noch Psychologe, oder gar Wissenschaftler bin, nehme ich keinen Bezug auf Entwicklungstabellen gemäß Kipler, Beller, oder dergleichen. Darüber ließe sich sicherlich mehr als nur ein Blogbeitrag schreiben, ist aber nicht Fokus der Sachverhalte, die ich Euch gerne näher bringen möchte.

Unsere staatlichen Instituionen bedienen sich starrer Systeme und Inhalte. Das hat die Erwartungshaltung zur Folge, dass sich gewisse Fertigkeiten bis zu einem gewissen Zeitpunkt ausgebildet haben sollten. Wir werden also bereits im Kleinkindalter systemkonform herangezogen. Einer gleicht dem anderen, alle sollten ein identisches Niveau an Fertigkeiten in ihrem Repertoire haben. Worauf ich eingehen möchte ist, wo bleibt das Individuum? Warum sollen wir denn alle „wie ein Ei dem anderen gleichen"? Wo ist der Bezug zu der Einzelperson mit ihren Bedürfnissen, ja möglicherweise sogar Talenten? All das fehlt mir in diesem Kontext und wird maximal für Begabte zur Verfügung gestellt. Diese sind jedoch gemäß dem System begabt und stechen durch außerordentliche, systemkonforme Leistung heraus.

Zusätzlich gibt es noch weitere veraltete Rituale, die scheinbar als völlig normal wahrgenommen werden, obwohl sich in großen Teilen der Wirtschaft und Gesellschaft eine deutliche Tendenz zu empirischen, explorativen und fehlertoleranten Systemen herauskristallisiert. Warum schreiben Kinder je Halbjahr zwei Klassenarbeiten? Warum werden diese höher gewichtet als andere Beiträge? Funktionieren wir immer auf Knopfdruck? Genau das verlangt das System von den Kindern. Es gibt Termine an denen Klassenarbeiten und/oder Klausuren stattfinden und das Wissen überprüft wird. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, warum aber diese starre Anzahl, warum diese Gewichtung? Was ist mit den Kindern, die sich möglicherweise freiwillig verbessern wollen würden? Ja, es gibt mündliche Zensuren. Ja, damit kann man zu einem gewissen Grad ausgleichen. Trotzdem ist die Gewichtung unterschiedlich und bei angenommenen zwei schlechteren Zensuren wird das Kind Probleme haben diese in eine merkbar andere Richtung zu beeinflussen. Gleiches gilt in noch strengerer Form zum Beispiel für eine Universtät. Da habe ich im Zweifel nicht die Chance die Klausur durch Zusatzleistung auszugleichen.

Kurzum, es wird ein Maßstab etabliert der Vergleichbarkeit herstellt und wir somit eine Uniformität der Gesellschaft und deren Mitglieder erreichen. Das macht es einfacher zentrale Organe zu steuern, zum Beispiel diese, die für Lehrinhalte zuständig sind. Ich frage jedoch: „Ist das noch zeitgemäß und bereitet das unseren Nachwuchs wirklich auf das vor, was da kommen wird?"

Wann lernen wir uns in der heutigen, komplexen Welt zurecht zu finden, die richtigen Methoden, Prinzipien und Frameworks einzusetzen? Ich bin mir sicher, dass ich das so offen stehen lassen kann und keine Antwort darauf geben muss.

Unternehmen

Ein kleines, streng hierarchisch geführtes Unternehmen, ein Großkonzern, voll mit Prozessen und Regeln, oder aber ein Unternehmen, dass wirtschaftlich zumindest aktuell noch keinen Druck hat sich zu verändern.

Sehr viele dieser Unternehmen haben etwas gemeinsam und sind nicht allzu selten in der freien Marktwirtschaft anzutreffen. Zugegebenermaßen zum Glück nicht ausschließlich. Ein großer Teil, so unterstelle ich das aus meiner Erfahrung heraus, folgen recht klassisch dem Hero Modell. Da gibt es den „Einen" ganz oben, der weiß schon was zu tun ist und immer die Antwort hat . Ist das so? Ich sage: „Nein". Jedoch ist das ein Muster das wir aus dem Bildungswesen übernommen haben. Auch da wurden wir von jemandem bewertet, der offiziell weiß wie es richtig ist. Allzu oft verlassen sich Menschen auf die Aussagen ihrer Mitmenschen, da wir der Mündigkeit aberzogen wurden. In diesem Kontext wurde noch nicht verstanden warum alle Mitarbeiter so wertvoll sind. Nicht als fleißige Arbeiterdrohnen, nein als erwachsene, mündige Menschen, die mit ihrem Wissen und Können einen substanziellen Teil zum Unternehmenserfolg beitragen.

Fehlerfrei funktionieren, auch in einer komplexen Welt, das wird oftmals vorausgesetzt und erwartet. Die Seiteneffekte, die dadurch ausgelöst werden, wie zum Beispiel der Klassiker sich durch Schriftverkehr zu schützen, um belegen zu können, dass die Schuld nicht bei einem selbst liegt, sind verheerend. Energie, die in wertvolle Aufgaben investiert werden könnte wird dazu gebraucht, um sich zu schützen. Sollte aber die Arbeitsatmosphäre per se eine geschützte sein, um den Mitmenschen ein humanes und menschengerechtes Arbeiten zu ermöglichen? Eindeutig, ja.

Nachwort

Mir ist bewusst wie stark ich an den meisten Stellen polarisiere, schwarz/weiß aufzuzeigen habe ich ganz bewusst gewählt. Es wird auch keinen Appell, oder Aufruf geben. Ich freue mich, wenn Euch der Text zum Nachdenken angeregt hat und ihr Lust darauf habt, Euch mit dem Thema etwas mehr auseinander zu setzen. Denn so manches Problem mit dem wir uns als Coaches heute konfrontiert sehen ist hausgemacht und steht im Zusammenhang mit diesem anerzogenen Verhalten. Das müsste aber gar nicht sein, denn wir befinden uns weder in Zeiten der Unruhe, wo Gehorsam und nicht nachdenken wichtig gewesen sind, noch im Industriezeitalter, wo Teilaufgaben an einem Fließband ausgeführt wurden und es ausschließlich nötig war den Arbeitsschritt richtig auszuführen.
Wir sehen uns viel komplexeren Problemstellungen gegenübergestellt und müssen diesen, ob wir es wollen, oder nicht, mit den richtigen Werkzeugen begegnen.

Um abschließend Missverständnissen vorzubeugen. Ich werte nicht, ich verurteile nicht. Ich teile meine Sicht der Dinge, wie ich aktuell unser Bildungssystem wahrnehme. Es geht mir auch nicht so stark um das Was, sondern um das Wie dieses System funktioniert. Meiner Ansicht nach hat die heutige Zeit andere Bedürfnisse, die es wahrzunehmen gilt.

Danke, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt!