Dieser Artikel beschreibt, wie wichtig es ist, im Kontext von Agilität Klarheit und ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf Begrifflichkeiten zu haben, und wie wir unseren Einsatz bei der Hochschule Bremen genutzt haben, um die Welt auch in dieser Hinsicht ein klein wenig besser zu machen.
Wer kennt ihn nicht, diesen einen Kollegen, der sich gerne bei jedem kleinen Flurgespräch einschaltet und Wahrheiten verkündet, wie: „das Gleiche und dasselbe sind nicht das Gleiche, und erst recht nicht dasselbe". Ich war schon immer ein Verfechter von Pragmatismus, für mich war Sprache bisher immer nebensächlich, solange wir ein gemeinschaftliches Verständnis über die Dinge haben, die wir gemeinsam erreichen wollen. In einem funktionierenden Umfeld, mit eingespielten Teams und transparenten Charakteren, ist das durchaus auch eine valide Einstellung. Doch je mehr ich, sowohl beruflich als auch privat, neuen Menschen, Situationen und auch dysfunktionalen Arbeitsumfeldern begegne, desto mehr rückt selbst für mich die Macht und die Bedeutung von Sprache in den Vordergrund. Agilität bedeutet für mich und meine Kollegen nicht nur die Fähigkeit, schnell und sinnvoll auf Veränderungen reagieren und damit umgehen zu können, sondern eben auch, sich auf sein Umfeld, seine Mitmenschen und deren Ziele, Eigenschaften und Glaubensgrundsätze einzulassen. Aus diesem Grund sollte man sich unbedingt auch die Zeit nehmen und diesem einen, penetranten und detailverliebten Kollegen gegenüber öffnen, denn vielleicht erkennt man dann, dass er Recht hat.
Klarheit in der Sprache, das Wissen darüber, was Worte wirklich bedeuten, und das darüber zu erlangende, einheitliche Verständnis kann nicht nur dabei helfen, Missverständnisse in der Kommunikation zu vermeiden, sondern auch emotionale Trigger und persönliche Befindlichkeiten im Vorfeld aus dem Weg zu räumen. Auf diese Art können wir Konflikte vermeiden und uns voll dem Erreichen der gemeinsamen Ziele widmen. „Einfachheit -- die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren -- ist essenziell" - so steht es im Agilen Manifest, und jeder der abends mal von der Arbeit nach Hause kam und sich gefragt hat, was er wirklich erreicht hat, außer sich mit Kollegen zu zoffen oder sich über diese zu ärgern, wird mir beipflichten, dass diese Art von Konflikten nicht nur unnötig Raum und Zeit einnehmen, sondern auch langfristig die Motivation und die Kreativität hemmen.
Wieso zunächst diese Einführung, wenn es doch um agiles Projektmanagement gehen soll? Nun, die Begriffskombination aus „agil", „Projekt" und „Management" wirft nach meiner Wahrnehmung in der Arbeitswelt oft emotionale Diskussionen auf, die wir vermutlich in ruhigen Momenten alle für „Waste" erachten würden, wenn wir denn einmal inne halten würden, die Begriffe und deren Bedeutungen zuordnen würden, und in die Kommunikation darüber kommen würden, welche emotionalen Assoziationen dadurch entstehen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erlebe ich zum einen Menschen, die diesen Begriff mehr oder weniger sorglos verwenden, weil sie sich für das Thema „Agilität" interessieren und verstehen möchten, mit welchen Tools und Prozessen im „agilen" Kontext Projekte angegangen werden. Aber auch Menschen, die sich unter dem Deckmäntelchen der aktuell so angesagten und gesellschaftlich bevorzugten Agilität verstecken, aber weiterhin alte Verhaltensweisen und gewohntes Strukturdenken praktizieren. Zum anderen gibt es Menschen, die sich bereits intensiver mit dem Thema „Agilität"auseinandergesetzt haben, und die für sich nicht nur die Vorteile in den kundenorientierten Ergebnissen, sondern eben auch in der besseren, harmonischen Zusammenarbeit sehen. Für diese Gruppe von Menschen sind Begriffe, wie „Projekt" oder „Management", Symbole einer alten, vermeintlich engstirnigen Welt, einer „Wir machen das hier so"-Mentalität, eines Umfelds, zu dem sie nicht mehr zurückkehren möchten.
Ein „Projekt" wird u.a. wie folgt definiert: „Ein Projekt ist ein zielgerichtetes, einmaliges Vorhaben, das aus einem Satz von abgestimmten, gesteuerten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin besteht und durchgeführt wird, um unter Berücksichtigung von Vorgaben bezüglich Zeit, Ressourcen und Qualität ein Ziel zu erreichen." Wenn man sich beispielsweise mit dem Cynefin Framework oder der Stacey Matrix beschäftigt hat, kann man nachvollziehen, warum in komplexen Situationen ein solch engmaschig strukturiertes Vorhaben, wie ein Projekt, keinen Sinn ergibt. In komplexen Kontexten und Situationen sind emergente Praktiken gefragt, um die Unsicherheiten bzgl. möglicher Lösungen durch kontinuierliches, validiertes Experimentieren und Lernen aufzulösen. Projekte sind eher im simplen Kontext anzusiedeln, in dem es sogenannte Best Practices gibt, also einen (besten) Lösungsweg, und wo dieser bereits zu Beginn des Projektes bekannt und definiert ist. Zudem wird das Projekt oft mit einer Mentalität der kurzfristigen, persönlichen Erfolgs- oder Gewinnmaximierung assoziiert (man denke an Umweltverschmutzung und Wallstreet-Bonuszahlungen), die weniger das Kollektiv als das Individuum in den Vordergrund stellen.
Das Verb „to manage" bedeutet im Deutschen, etwas zu verwalten oder zu administrieren. Dies ist eine Tätigkeit, die auf das Einsortieren von Schrauben in Setzkästen, oder auf das Zuordnen von Fahrern zu Fahrzeugen zutrifft, jedoch weniger passend erscheint, wenn es darum geht, eine Lösung für ein komplexes Problem zu entwickeln. Eine Disziplin, die im richtigen Kontext und der richtigen Domäne einen absoluten Mehrwert bietet; schließlich ist es unnötig, das Rad bei jedem Verwaltungsakt neu zu erfinden und diese Prozesse mit iterativ-inkrementellen Methoden oder Vorgehensweisen umzusetzen. Das wäre mit Kanonen auf Spatzen schießen, und steht in keinem betriebswirtschaftlichen Verhältnis. Zudem wirkt auch hier die Assoziation zur „alten" Welt wie eine nicht zu begleichende Schuld. Der so oft verschriene „Manager" oder „das Management", welche Menschen wie Ressourcen behandeln, lösen in dem einen oder anderen „Agilsten" Unwohlsein aus, auch wenn diese Bedeutung vom Sender gar nicht bewusst impliziert ist.
Wie sooft im Leben gibt es auch hier vermutlich keine allumfassende Wahrheit. Dennoch glaube ich: wenn man sich ernsthaft dem Thema Agilität verschrieben hat, muss man sich auch hier an die Gegebenheiten seiner Umwelt anpassen, stets versuchen, zunächst das Gute im Gegenüber zu suchen und offen für neue Ideen und anderen Ansichten zu sein. Zudem gehen der agile Diskurs und die Systemtheorie in die Richtung, dass alle Disziplinen richtig, wichtig und wertvoll sind - wenn, ja wenn sie im richtigen Kontext angewendet werden. Daher ist die Aufgabe von agilen Methoden und Vorgehensweisen, Unsicherheiten aufzulösen und sie in komplizierte und/oder sogar einfache Sachverhalte zu überführen. Dogmatismus bringt uns als Gesellschaft nicht weiter und führt eher zu verhärteten Fronten. Henry Ford soll gesagt haben: „Das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des Anderen zu verstehen.“
Viele dieser Ansichten und Einsichten habe ich erst mit fortschreitendem Alter, mit wachsender Erfahrung, durch Austausch mit Kollegen, Kunden und Gleichgesinnten und vor allem durch neues Wissen erlangt. Ein Wissen, das ich gerne schon früher gehabt hätte. In der klassischen Lehre geht man nur allzu oft davon aus, dass alle Vorhaben und Sachverhalte vollständig durchdrungen, geplant und bewältigt werden können, wenn man sich nur strukturiert und intensiv genug damit beschäftigt. Diese Strukturen und Herangehensweisen nennen sich dann zum Beispiel Prince 2, V-Modell oder Wasserfall, eine ToDo-Liste usw. Noch während meines Studiums der Wirtschaftsinformatik wurden agile Denkansätze, Theorien und Frameworks eher als eine Nischenwissenschaft speziell für Softwareentwickler gesehen, und es wurde vermittelt, dass dieses oder jenes Tool oder Vorgehen (z.B. Scrum) ganz bestimmte positive und/oder negative Effekte habe. „So funktioniert das. Viel Spaß damit". Das hinter diesem Thema viel mehr steckt und dass es die Kraft hat, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und eine globale Bewegung zu werden, schien damals nicht erwartbar. Heute, 2019, stehen wir an der Schwelle zu einer neuen, aufregenden Arbeitswelt, die sich mit vielen Herausforderungen beschäftigen muss: Digitalisierung, Liberalisierung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung und vieles mehr. Ich glaube fest daran, dass Agilität nicht nur der Schlüssel, sondern sogar die Voraussetzung dafür ist, diese Themen zu meistern. Wer die Zukunft ändern will, muss sich mit der Jugend von heute beschäftigen. Daher haben wir uns als Team auch sehr gefreut, als wir eine Anfrage der Hochschule Bremen erhielten, im Fach "International Project Management" das Thema Agilität vorzustellen. Neben Grundlagen, wie einer Definition von Agilität, der Geschichte und den Werten und Prinzipien dahinter, konnten wir auch Wissen und Übungen zu diversen Frameworks und zu Grundhaltung und Mindset vermitteln. Wir freuen uns sehr, wenn die Studenten mit ihrem Wissen die Welt von morgen zu einem besseren Ort machen, und wünschen ihnen auch an dieser Stelle alles Gute für den weiteren Lebensweg.
Der Austausch darüber, was Worte wirklich bedeuten und welche Assoziationen wir damit verbinden, kann uns dabei helfen, klar zu kommunizieren und besser zusammenzuarbeiten. Wahrhaft agil ist, wer sich offen zeigt für den Standpunkt des jeweils anderen, wer sich von emotionalen Verbindungen zu Begriffen oder Sätzen trennt und wer versucht, die Motivation dahinter zu verstehen.